Intercom, 1997/2000 Installation, video, 7 min
Spiegelt die Sozialwohnung fundamentale Strukturen des Sozialstaates wider, so der Gemeindebau fundamentale Strukturen des Nationalstaates, die sich beispielhaft im jahrzehntelangen Zuzugsverbot für AusländerInnen manifestieren. Bis vor kurzem war die in Wien regierende Sozialdemokratie zu feige, den rassistischen Konsens innerhalb der Mehrheitsbevölkerung (die fatale Koppelung von Sozialismus und Volk) aufzubrechen. Das änderte sich 1999, als eine offen rassistisch agierende Partei auf Bundesebene regierungsfähig wurde (das planetarische Kleinbürgertum hatte sich, ein gutes Jahrzehnt nach der Wahl Waldheims, erneut auf spektakuläre Weise exponiert). Moderner Rassismus ist eine staatliche Strategie, soziale Konflikte zu entpolitisieren, indem auf die Natürlichkeit kultureller Unterschiede verwiesen wird. Die Konstruktion dieser Natürlichkeit ist Thema einer Installation von Songül Boyraz – einer Telefonzelle, die anstelle eines Sprechapparates mit Videorecorder, Kopfhörer und Bildschirm ausgerüstet ist. Bild und Ton (ein Video von Boyraz) setzen verschiedene Menschen in Szene, die über ihre Erfahrungen als Ausländerinnen und Ausländer in Wien sprechen.
Telefonzellen sind Einrichtungen, die für Geld die Herstellung einer Verbindung zu anderen Apparaten und Menschen ermöglichen. Zugleich sind es intime Räume, die ihre BenutzerInnen abschotten. Boyraz begreift das Ferngespräch als eine zentrale Erfahrung von Migration: die stimmliche Kommunikation mit der Heimat, mit Verwandten. Ihre Telefonzelle nimmt diese Erfahrung auf, kehrt die Verhältnisse aber um. Die BenutzerInnen haben hier nichts zu sagen, sondern erhalten lediglich Informationen: Aussagen und Gesten. Seinem Gehalt nach läßt sich Boyraz’ Video mit Elementen engagierter Fernsehdokumentationen vergleichen, die in der Betroffenenperspektive schwelgen. Allerdings zwingt sie ihre AkteurInnen niemals in die Verständlichkeit telekommunikativer Raster. Wenn eine junge Frau ausnehmend leise spricht, dann respektiert Boyraz das als Form und verpflichtet ihr Gegenüber nicht, als Migrantin Authentizität zu mimen. Wer die Zelle betritt und den Kopfhörer aufsetzt, erfährt am eigenen Leib, daß sich das Mehrheitsverhältnis zwischen StaatsbürgerInnen und Menschen, die sich nicht innerhalb der Ordnung des Nationalstaates repräsentieren lassen, umkehrt. Die Isolation der Zelle macht die Singularität der eigenen Existenz vis-à-vis der anderen Singularitäten fühlbar. Man ist, kurz gesagt, unter seines- oder ihresgleichen. Plastisch herausgeschält aus dem sozialen Kontinuum sind die EmpfängerInnen der Sendung Menschen als solche.*)
Jedoch ist die Telefonzelle kein Ort der Bleibe, und in dem Maße, wie die Kunsterfahrung zeitlich ist, findet auch die Kommunikation singulärer Existenzen irgendwann ihr Ende. Allgemein gesprochen, mag die ästhetische Erfahrung in glücklichen Fällen an einen Zustand angstfreier Identitätslosigkeit heranreichen.
*) Agamben führt an anderer Stelle aus, dass die politische Ordnung des Nationalstaates keine autonomen Räume für Menschen als solche kennt. Der Flüchtlingsstatus ist immer nur ein vorübergehender, der entweder die Einbürgerung (samt aller Tücken der sogenannten Integration) oder die Abschiebung nach sich zieht, vgl. Giorgio Agamben, Means without End. Notes on Politics, Minneapolis und London 2000.
Roger Buergel